Wirrwarr um den «Professional Bachelor» in den Medien

Wirrwarr FR

Den zukünftigen englischen Titelbezeichnungen für die Höhere Berufsbildung wurden im Juni und Juli viel Aufmerksamkeit entgegengebracht. Leider berichteten zahlreiche Medien ohne Bescheid zu wissen und verbreiteten durch ihre Publikationen ein regelrechtes Durcheinander.

Von Urs Gassmann

Am 14. Juni 2021 veröffentlichte die SonntagsZeitung einen gut recherchierten Bericht, leider unter dem effekthascherischen Titel: «Bachelor und Master für Nichtstudierte». Dieser Titel fand einen grossen Widerhall bei vielen Medien, sowohl off- wie auch online. Viele wollten keine Zeit verlieren und publizierten unter noch reisserischen Titeln grobe Unwahrheiten. Das Thema «Höhere Berufsbildung» wäre ergiebig, und mit etwas Recherchezeit könnten Artikel mit Interessantem für einen grossen Teil der Bevölkerung veröffentlicht werden. Bei all diesen Berichten zeigte sich deutlich, es bestehen bei den meisten Medienschaffenden immer noch bedeutende Wissenslücken bezüglich der schweizerischen Bildungslandschaft. Warum ist dies immer noch der Fall? Die Höhere Berufsbildung gibt es nicht erst seit gestern. 
Zugegeben, dass die berufliche Bildung auf den Arbeitsmarkt ausgerichtet und deshalb sehr vielfältig ist, erschwert Medienschaffenden, den Überblick zu behalten. Es gibt jedoch zahlreiche Experten, die jederzeit den Durchblick haben und auch Unterstützung bieten. Für Medien-«Fachleute» sollte es doch ein Einfaches sein, sich wenigstens die Namen dieser Experten zu notieren, um nachfragen zu können und um fundierte Berichte an die Öffentlichkeit zu bringen.

Das Problem der Sensationsgier
Wird nur kurz auf Titel und Einleitung geschaut, jene Teile eines Artikels, die am meisten gelesen werden, liest man Erstaunliches und der entstehende Wirrwarr wird verständlich. Es wäre wertvoll, wenn nicht nur populistische Überschriften, sondern Fakten für die Verbreitung von wichtigen Themen verwendet würden.
Bei «swissinfo.ch» und in der zweiten Publikation von «20 Minuten» fand der ODEC Gehör und konnte die Stimme der HF-Diplomierten platzieren und Richtigstellungen vornehmen.

Aufklärung
Die englischen Titel sollen vom Bund für die Höhere Berufsbildung (Tertiärstufe) geschaffen werden und nicht, wie in mehreren Berichten zu lesen war (s. Beispiele auf folgender Seite), für die berufliche Grundbildung (Berufslehren wie Bäcker, Metzger, Maler etc.). Der HF-Abschluss beispielsweise gehört der Höheren Berufsbildung an und ist das höchste formale, nicht akademische Studium, das in der Schweiz absolviert werden kann. Dieser doch sehr grosse Unterschied zu den Berufslehren ist augenscheinlich und müsste unterdessen auch jedem Journalisten bekannt sein.
Übrigens, in Deutschland wurden der «Bachelor Professional» und «Master Professional» Anfang 2020 eingeführt.

Der HF-Bildungsgang ist ein Studium
Seit dem Jahr 2005 sind Teilnehmer an einem HF-Bildungsgang auf Bundesebene (MiVo-HF) als «Studierende» definiert. Den Begriff «Nichtstudierte» im Zusammenhang mit HF-Diplomierten wie in den aufgeführten Beispielen zu verwenden, ist ebenso falsch und irreführend, wie den Bachelor einem Lehrabschluss zuzuordnen. 16 Jahre sind eine lange Zeit, es sollte doch möglich sein, sich wenigstens die Kerndaten unseres Bildungssystems merken zu können.

Verakademisierung?
Auch kam erneut bei einer Einführung des Professional Bachelors die «Verakademisierung» der Höheren Berufsbildung auf den Tisch. Ein Ausdruck der letzten Verzweiflung oder Unwissenheit? Denn gerade der Begriff «Professional» zeigt deutlich auf, dass der Professional Bachelor eben nicht akademisch ist.
Bei den Höheren Fachschulen auf Verordnungsstufe ist klar definiert, dass die OdA (Organisationen der Arbeitswelt) bei den Bildungsinhalten zusammen mit den Bildungsanbietern (Höhere Fachschulen) verantwortlich sind. Diese Konstellation verhindert eine «Verakademisierung». Zudem fungiert das SBFI (Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation) als «Wächterin» und Verantwortliche über die korrekte Umsetzung der HF-Bildung.
Wer jetzt noch von «Verakademisierung» spricht, zeigt, dass das System der Höheren Berufsbildung absolut nicht verstanden wird. Und wenn diese Verankerung auf Verordnungsstufe nicht genügt, müssen sie und die ganze Stufe Höhere Fachschule auf Gesetzesstufe geregelt werden, so wie es der ODEC seit langem fordert. Dadurch würden sich viele Diskussionspunkte erübrigen.


Beispiele aus Publikationen
Cash: Der Bund prüft neue Titel-Bezeichnungen für Berufsausbildungen
Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) will bis Ende Jahr neue Abschlusstitel-Bezeichnungen für Berufsausbildungen prüfen, um sie auf dem internationalen Arbeitsmarkt aufzuwerten. In Frage kommen etwa Titel wie «Professional Bachelor» oder «Professional Master».

Aargauer Zeitung: Bund prüft neue Titel-Bezeichnungen für Berufsausbildungen
Weil Schweizer Berufsabschlüsse im Ausland zu wenig bekannt sind, prüft der Bund erneut, ob Bachelor- und Master- Titel künftig auch an Nichtstudierte vergeben werden sollen. Widerstand ist programmiert.

Die Ostschweiz: Wichtiger Schritt oder Akademisierungswahn? Metzger und Bäcker als «Professional Bachelor»: Muss das sein?
Weltweit wird das duale Ausbildungssystem der Schweiz bewundert. Aber nun soll die Berufslehre mit einem neuen Titel aufgewertet werden, dem «Professional Bachelor». Braucht es das?

20 Minuten: Droht eine Akademisierung? Nicht alle sind Fan vom «Bachelor für Bäcker».
Schweizer Berufsleute ohne Studium sollen sich «Bachelor Professional» nennen dürfen. Verbände fordern das schon seit Jahren, Hochschulen wehren sich.

Aargauer Zeitung / Fricktal online: Bachelortitel für Bäcker und Maler? Das sagen zwei Meister aus dem Handwerk sowie ein Hoteldirektor dazu.

 

«Projekt Positionierung HF»:
Die letzte Sitzung des «Soundboards», ehemals Begleitgruppe, fand am 24. August 2021 (nach Redaktionsschluss) statt, um den neusten Stand des Projekts zu sichten. Wie immer informiert der ODEC darüber unter www.odec.ch/projekt-HF und per Newsletter. Der ODEC begleitet dieses Projekt bereits seit Eingabe der Motion im März 2018.