«Vom Gegenwind zum Meilenstein» – Urs Gassmann über 25 Jahre Wandel, Widerstand und Weitblick

Ein Gespräch mit dem langjährigen Geschäftsführer Urs Gassmann über die Entwicklung des Verbands, die Wünsche der HF-Diplomierten und einen historischen Entscheid des Bundesrats.
Von Jsabelle Tschanen
Wenn jemand weiss, wie sich der Verband der HF-Diplomierten in den letzten Jahrzehnten verändert hat, dann ist es Urs Gassmann. Seit über 25 Jahren steht er an der Spitze – mit ruhiger Hand, klarem Blick und viel Geduld. Im Interview blickt er zurück auf bewegte Zeiten, ordnet aktuelle Entwicklungen ein und zeigt, warum der Entscheid zum «Professional Bachelor» mehr ist als nur ein neuer Titel.
Urs Gassmann, du bist schon lange Geschäftsführer unseres Verbands. Kannst du in wenigen Sätzen zusammenfassen, was sich am meisten verändert hat in dieser Zeit?
Die Veränderungen der letzten 25 Jahre in ein paar Sätzen zusammenzufassen, ist eigentlich unmöglich – es ist schlicht zu viel passiert. Aber um ein paar zentrale Punkte hervorzuheben: Eine dynamische Entwicklung des Verbands ist nur schon über die Mitgliederzahl –anfänglich von unter Tausend bis zum heutigen Tag mit 14045Mitgliedern– zu verzeichnen. Die wachsende Bekanntheit und Positionierung des HF-Abschlusses, die zunehmende internationale Mobilität und die gestiegenen Erwartungen der HF-Diplomierten an ihren Verband sind weitere wesentliche Aspekte. Ebenfalls erwähnenswert ist das enorme Wachstum auch bei den Bildungsanbietern, über 170 Höhere Fachschulen. Heute pflegen wir mit allen Höheren Fachschulen den Kontakt und mit zahlreichen Schulen eine enge Partnerschaft – eine Entwicklung, die früher in dieser Dimension undenkbar schien.
Gab es auch etwas, das sich nicht verändert hat in dieser Zeit?
Ja, und das ist tatsächlich sehr wichtig. In unseren Statuten unter «Zweck und Ziele» steht es schwarz auf weiss: «Der Verband bezweckt die Interessenvertretung und Förderung aller ihm angeschlossenen Vereinigungen von dipl. Absolventen HF sowie einzelner dipl. Absolventen HF». Und die Unabhängigkeit ist festgehalten mit «Der Verband ist politisch unabhängig, parteipolitisch und konfessionell neutral.» Diese beiden Punkte sind quasi unsere DNA und haben Bestand. Alles andere wurde laufend angepasst.
Was hat sich bei den Ansprüchen der HF-Diplomierten verändert?
Die Ansprüche sind der heutigen Zeit geschuldet, bei der immer alles schneller und unmittelbarer geworden ist. Heute wird alles sofort erwartet. Wenn jemand ein Produkt online bestellt, will er es am nächsten Tag. Hatte man früher für einen Auftrag eine Vorplanungszeit von drei Monaten bis zum Produktionsstart, so ist sie heute minimiert. Diese Erwartungshaltung trifft auch uns als Verband: Wenn es etwa um Veränderungen auf Bundesebene geht, möchten die Mitglieder Ergebnisse – am besten zeitnah. Die Realität sieht aber anders aus. Der Bund denkt in Jahren, nicht in Wochen oder Monaten. Da prallen zwei Welten aufeinander.
Aktuell hat der Bundesrat entschieden, die Einführung des «Professional Bachelor» und des «Professional Master» zu unterstützen. Was bedeutet das für den ODEC?
Das ist ein historischer Entscheid – gefallen am 30. April 2025. Der Bundesrat unterstützt die Titel und gibt diese Vorlage, da es eine Gesetzesänderung benötigt, an das Parlament weiter. Für uns als ODEC ist das ein Meilenstein – denn bisher wurde alles, was die Höheren Fachschulen, die HF-Diplomierten oder die höhere Berufsbildung fördert, vom Bundesrat zur Ablehnung empfohlen.
Was viele vergessen: Der Weg dahin war lang und steinig und brauchte viel Vorarbeit. Wir haben schon vor über 20 Jahren erkannt, dass ein mehrjähriges Studium mit tertiärem Abschluss auch international verständlich sein muss – und dafür braucht es eben einen verständlichen englischen Titel. Als wir 2006 den «Professional Bachelor ODEC» für unsere Mitglieder eingeführt haben, wurde damit ein regelrechter Tornado ausgelöst. Da wir nicht von Geldern des Bundes abhängig sind, sondern uns ausschliesslich von Mitgliederbeiträgen und über unsere Dienstleistungen finanzieren, konnten wir dem Sturm standhalten.
Was ist nach dem Tornado passiert?
Wir haben unermüdlich weitergemacht. Denn wir waren überzeugt vom Weg – und wie man so schön sagt: «Steter Tropfen höhlt den Stein.» 2014 brachte Nationalrat Matthias Aebischer die Motionen «Professional Bachelor» und «Professional Master» für die höhere Berufsbildung ein. Dann begann das bekannte Spiel: Der Bundesrat empfiehlt Ablehnung, ein Parlamentsrat stimmt zu, der andere nicht – Thema vom Tisch. Was 2018 mit der Motion «Höhere Fachschulen stärken» von Anita Fetz seinen Anfang nahm, hat sich in den letzten eineinhalb Jahren nach vielem Hin und Her auf die gesamte höhere Berufsbildung ausgeweitet. Inzwischen hat der Bundesrat das Projekt «Positionierung HF» mit vier konkreten Massnahmen ans Parlament weitergeleitet:
- Das Bezeichnungsrecht HF
- Die Titelzusätze «Professional Bachelor» und «Professional Master»
- Englisch als zusätzliche Prüfungssprache
- Die Flexibilisierung der Nachdiplomstudien
In einer der nächsten Sessionen des Parlaments soll darüber entschieden werden.
Du hast den Entscheid des Bundesrats als «historisch» bezeichnet – warum?
Die Schweiz ist stolz auf ihr Bildungssystem – zu Recht. Die duale Berufsbildung ist weit mehr als ein Ausbildungskonzept – sie bildet eine zentrale Säule der Schweizer Wirtschaft. Während viele Länder unter hoher Jugendarbeitslosigkeit und einer Lücke zwischen Theorie und Praxis leiden, vertraut die Schweiz auf ein bewährtes System, das den Anforderungen des Arbeitsmarktes deutlich besser entspricht. Auch der Bundesrat betont das bei jeder Gelegenheit. Aber wenn es konkret um die höhere Berufsbildung geht, wird es still. Keine Höhere Fachschule, kein HF-Abschluss wird erwähnt – nicht national und sowieso nicht international. Zumindest ist mir nichts bekannt. Wenn jemand etwas anderes weiss, lasse ich mich gerne belehren. Doch wurden bisher sämtliche Vorstösse zur Stärkung der höheren Berufsbildung unisono abgelehnt. Dass nun der Bundesrat die Wichtigkeit der Höheren Fachschulen anerkennt – das ist wirklich ein Novum.
Heisst das, jetzt wird alles gut mit den neuen Titeln?
Das wäre schön – aber es ist noch zu früh, um dies zu bestätigen. Der Entscheid über die Massnahmen ist nur der Anfang, danach folgt die Umsetzung. Und das ist bekanntlich eine Herausforderung. Aber dazu dann mehr, wenn es wirklich so weit ist. Wir bleiben wie immer dran und berichten.
Fazit: Urs Gassmann hat nicht nur den Verband durch turbulente Zeiten geführt – er hat mit Beharrlichkeit und strategischem Weitblick einen Wandel mitgestaltet, der für viele HF-Diplomierte endlich internationale Sichtbarkeit bringen könnte. Ob der «Professional Bachelor» für HF-Diplomierte tatsächlich Realität wird, entscheidet nun das Parlament. Aber eines ist klar: Der Wind hat gedreht.