Ist das duale Bildungssystem eine Stärke der Schweizer Wirtschaft?

Das duale Bildungssystem der Schweiz ist weltweit einzigartig. Was HF-Absolventinnen und -Absolventen von diesem System halten und ob sie selber den dualen Bildungsweg nochmals einschlagen würden, untersucht eine Umfrage des ODEC. Die Resultate sind erfreulich, zeigen aber auch Unterschiede je nach demografischem oder beruflichem Hintergrund der Befragten auf.

Im Jahr 2012 wurden 3‘700 HF-Absolventinnen und -Absolventen – darunter 2800 Mitglieder des ODEC –unter anderem mit folgenden Fragen zum dualen Bildungssystem in der Schweiz konfrontiert:

Ist das schweizerische Bildungssystem eine Erfolgsstory?

Ist die duale Bildung (Berufslehre) als Grundlage die Stärke der Schweizer Wirtschaft?
Wenn ich nochmals 16 Jahre alt wäre, würde ich meinen beruflichen Weg wieder über die Berufsbildung angehen?
669 Befragte (18 Prozent) füllten den Fragebogen aus. Die Antworten wurden bezüglich Geschlecht, Alter, Zeitdauer seit Abschluss HF/TS/HKG, Fachbereich, Branche, Art des Studiums, Funktion/Rang, Firmengrösse, Arbeitskanton oder Personalsituation im Unternehmen ausgewertet.

Duale Berufsbildung

Männer beurteilen das duale Bildungssystem positiver

98 Prozent der befragten Männer, die den Fragebogen zurückschickten,bezeichnen die Berufslehre am Anfang eines Bildungswegs als Stärke der Schweizer Wirtschaft. Bei den Frauen sind es 95 Prozent. Die Zufriedenheit der männlichen Teilnehmenden schlägt sich auch in der Sicht auf ihren eigenen Bildungsweg nieder: 79 Prozent würden den beruflichen Weg wieder über die Berufsbildung angehen. Bei den Frauen würde gut ein Drittel eine andere Laufbahn wählen.

Hängt die Einstellung zum dualen Bildungssystem vom Alter ab? 

Vor allem junge Personen unter 35 Jahren und ältere ab 50 bezeichnen das Schweizer Bildungssystem als Erfolgsstory: Total91 Prozent dieser Altersgruppen antworten in der Umfrage mit „ja“ oder „eher ja“. Personen im Alter zwischen 35 und 50 Jahren sind etwas kritischer: 14 Prozent antworten mit „nein“ oder „eher nein“.Umfrageteilnehmer über 50 Jahresowie zwischen 31 und 35 Jahren sind auch geschlossen der Meinung, dass die duale Bildung als Grundlage die Stärke der Schweizer Wirtschaft ausmacht. Von den übrigen Befragten sind 98 Prozent dieser Ansicht.

Bei der Frage, ob sie mit 16 Jahren noch einmal denselben Bildungsweg einschlagen würden, ergibt sich ein widersprüchliches Bild: Die 41- bis 45-Jährigen würden sich am ehesten für einen anderen Weg entscheiden (35 Prozent).Bei den über 50-Jährigen, welche das duale Bildungssystem im Grundsatz bejahen, könnten sich rund 22 Prozent eine andere Laufbahn vorstellen. Erfreulich ist, dass bei den bis 25-Jährigen 89 Prozent wieder einen dualen Berufsweg wählen würden.

Studierende sind überzeugt von ihrem Bildungsweg

Ein ähnliches Bild zeigt sich bezüglich Zeitspanne seit Abschluss. Je näher der Abschluss einer HF, TS oder HKG liegt, desto eher würden die Umfrageteilnehmenden tendenziell als 16-Jährige nochmals den Weg über die Berufsbildung gehen.Studierende, die aktuell eine Weiterbildung an der HF, TS oder HKG absolvieren, sind vom beruflichen Ausbildungsweg überzeugt: Nur gerade 1 Person von 42 Teilnehmendenwürde sicher nicht mehr diesen Weg wählen. Bei den Personen, deren Studium mehr als 25 Jahre zurückliegt, würden 33 Prozent sicher oder wahrscheinlich einen anderen Weg einschlagen.

Mehr berufsbegleitende Ausbildungen

Gut 80 Prozent der Umfrageteilnehmenden haben eine berufsbegleitende Fortbildung besucht. 89 Prozent von ihnen empfinden das schweizerische Bildungssystem als Erfolgsstory. Bei ihren Kolleginnen und Kollegen, welche ein Vollzeitstudium absolviert haben, sind es gar 92 Prozent. Von allen Befragten würden rund 77 Prozent wieder den dualen Bildungsweg einschlagen. Ein klares „Nein“ legen 14 Prozent der Vollzeitstudierenden ein, bei den Teilzeitstudierenden sagen nur 5 Prozent „nein“.

Weniger Überzeugung in der Welschschweiz

Umfrageteilnehmende aus der Romandie sehen die Berufslehre als Grundlage weniger als Stärke der Schweizer Wirtschaft als ihre Deutschschweizer Kolleginnen und Kollegen: Während schweizweit58 Prozent aller Teilnehmenden die Berufslehre klar als Stärke sehen, sind es im Kanton Genf nur 17 Prozent und im Kanton Waadt nur 31 Prozent. Im Kanton Glarus geben dagegen 100 Prozent der Teilnehmenden ein „Ja“ für das duale Bildungssystem ab.

Teilnehmende aus dem Kanton Basel Stadt scheinen mit ihrer beruflichen Ausbildung nicht wirklich glücklich zu sein: 48 Prozent würden – wären sie noch einmal 16 – nicht mehr den Weg über die Berufsbildung wählen; im Kanton Waadt sind es 36 Prozent und im Kanton Genf 31 Prozent. In den eher ländlichen Kantonen Schwyz, Appenzell, Nidwalden, Graubünden, Glarus, Schaffhausen, Wallis und Thurgau würden über 80 Prozent noch einmal den dualen Bildungswegabsolvieren.

Kader sieht duales Bildungssystem als Stärke

Je höher die berufliche Position der befragten Person ist, desto eher bewertet diese die duale Bildung als Grundlage als Stärke der Schweizer Wirtschaft: Bei Mitgliedern der Geschäftsleitung oder der Direktion haben sich 100 Prozent entsprechend geäussert – 67 Prozent sogar mit einem klaren „Ja“. Bei den Sachbearbeiterinnen und -bearbeitern sowie den Fachspezialisten geben 53 Prozent ein „Ja“ ab, bei den Assistentinnen und Assistenten sind es weniger als 10 Prozent.

Von Sachbearbeiterinnen und -bearbeitern über Projektleiterinnen und -leitersowie Kaderangehörige bis hin zu Direktionsmitgliedern würden sich knapp 80 Prozent der Befragten wieder für den dualen Bildungsweg entscheiden. Deutlich anders sehen das Assistentinnen und Assistenten: Über 58 Prozent würden einen anderen Weg einschlagen.

Deutliche Unterschiede bei den Fachbereichen und Branchen

Die Zufriedenheit mit dem dualen Bildungssystem der Schweiz ist je nach Fachbereich, in dem die Befragten ihren Abschluss gemacht haben, unterschiedlich. 94 Prozent der Befragten des Fachbereichs „Gastgewerbe, Tourismus und Hauswirtschaft“ sehen das Bildungssystem als Erfolgsstory. Anders reagieren dieTeilnehmenden der Fachbereiche „Technik“ und „Wirtschaft“: 11 respektive 14 Prozent empfinden das Bildungssystem als keine oder eher keine Erfolgsstory. Auch bei der Frage, ob sie mit 16 Jahren noch einmal denselben Bildungsweg wählen würden, gehen die Meinungen der Absolventinnen und Absolventen der Fachbereiche auseinander: In den Bereichen „Gastgewerbe, Tourismus und Hauswirtschaft“ sowie „Wirtschaft“ würden knapp 70 Prozent sicher oder ziemlich sicher noch einmal den Weg über die berufliche Bildung einschlagen. Interessant ist, dass gleichzeitig im Bereich „Gastgewerbe, Tourismus und Hauswirtschaft“der Anteil an klaren Nein-Stimmen mit 21 Prozent am höchsten ist. Absolventinnen und Absolventen aus dem Fachbereich „Technik“ schauen mit mehr Überzeugung auf ihre berufliche Ausbildungzurück: 79 Prozent würden wieder diesen Weg wählen.

Analysiert man die Branchen, in welchen die Befragten heute tätig sind, etwas detaillierter, fällt auf, dass neben „Hotellerie/Beherbergung“ sowie „Restauration/Gastronomie“ auch die Branchen „Erziehung/Aus- und Weiterbildung“ sowie „Grafische Erzeugnisse“ das schweizerische Bildungssystem als Erfolgsstory betrachten. In der Branche „Handel“ sind nur gerade 60 Prozent und in der „Lebensmittelindustrie“ sowie in „Chemie/Pharma“ rund 80 Prozent davon überzeugt.

Trotzdem würden 90 Prozent der Personen aus dem Handel wieder den dualen Berufsbildungsweg wählen, während nur 60 Prozent der Branche „Chemie/Pharma“ diesen Weg nochmals gehen würden. Auffallend ist, dass sich nur rund ein Drittel der Personen aus dem „Gesundheitswesen“ heute noch einmal für den beruflichen Bildungsweg entscheiden würde. Bei allen anderen Branchen sind es über 50 Prozent – in der Branche „Restauration/Gastronomie“, die der Berufsbildung generell positiv gegenübersteht, sind es 90 Prozent, in der Branche „Hotellerie/Beherbergung 76 Prozent.

Unternehmensspezifische Unterschiede ausschlaggebend

Vor allem Personen aus kleineren Betrieben würden – wenn sie noch einmal 16 Jahre alt wären – wieder den beruflichen Weg über die Berufsbildung wählen. 85 Prozent der Personen in Firmen unter10 Angestelltenbeantworteten die Frage positiv. Bei den Personen, die in Firmen mit über 500 Mitarbeitenden arbeiten, waren es nur rund 70 Prozent.Praktisch nicht relevant für die Beurteilung des dualen Bildungssystems ist, ob das Unternehmen regional oder weltweit ausgerichtet oder in Schweizer oder internationalem Besitz ist.

Interessant ist die Einschätzung in Bezug auf die Personalverantwortlichen des eigenen Arbeitgebers: Wenn die Personalverantwortlichen die Qualifikationen der HF-Absolventinnen und -Absolventen kennen, würden die Befragten sicher oder eher wieder den Berufsbildungsweg wählen – nämlich zu 80 Prozent. Wenn die Personalverantwortlichen die Qualifikationen nicht kennen, würden nur 57 Prozent die duale Laufbahn sicher und 66 Prozent eher nochmals wählen.

Vertiefungspotenzial vorhanden

Die Umfrage zeigt eine grosse Zufriedenheit der Befragten mit dem schweizerischen Bildungssystem und der dualen Bildung. Eine grosse Mehrheit würde wieder den Weg über die Berufsbildung wählen, was sicherlich ein gutes Zeugnis für die Anbieter der Aus- und Weiterbildungen ist. Erfreulich ist auch, dass vor allem die jungen Menschen eine positive Haltung gegenüber der Berufsbildung haben.Interessant wäre es, einzelne Punkte tiefer zu ergründen: Warum würden sich Frauen eher für einen anderen Weg entscheiden als Männer? Weshalb sind Personen, die in der Handelsbranche tätig sind, vom Schweizer Bildungssystem so wenig überzeugt und warum würden Personen im Gesundheitswesen heute einen anderen Bildungsweg wählen? Wieso sieht man in der Romandie das duale Bildungssystem weniger als Stärke der Wirtschaft als in der Deutschschweiz und warum ist die Einschätzung des persönlichen Bildungswegs von Kanton zu Kanton so unterschiedlich? Hier zeigt sich Handlungspotenzial für einige Branchen und Regionen.

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