Einblick in die Welt der Techniker HF «Grossanlagenbetrieb»

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Sie produzieren Energie, damit wir zuhause Strom nutzen können; die Kernkraftwerke in der Schweiz. Um solche Anlagen sicher betreiben zu können, braucht es Menschen, die diese Anlagen lenken. Dafür ist der Techniker HF «Grossanlagenbetrieb» zuständig.

Von Kay Uehlinger

Der Techniker HF «Grossanlagenbetrieb» (Reaktoroperateur) hat eine wichtige Rolle. «Wir schulen sie, damit sie am Schluss im Kommandoraum sitzen und das Kernkraftwerk steuern können», sagt Dr. Hansjörg Künzli, Rektor der Nukleartechnikerschule Baden. «Dazu gehört tiefes technisches Verständnis, aber vor allem müssen diese HF-Technikerinnen und -Techniker die naturwissenschaftlichen Abläufe genaustens verstehen oder über Kenntnisse verfügen.» Wichtig sei es, die Anlage in- und auswendig zu kennen. «Sie müssen beurteilen, analysieren und verstehen.» Aufgrund dieser Kenntnisse würden Schalthandlungen vorgenommen werden. «Meist ist das Routinearbeit», so Künzli. «Bei leichten Abweichungen sind kleine Massnahmen nötig und werden entsprechend eingeleitet.» Zu vergleichen sei dies am einfachsten mit dem Beruf des Piloten. «Ein Flugzeug fliegt grundsätzlich von allein, doch manchmal braucht es ein Kommando, um beispielsweise ein wenig abzusenken, weil sich ein anderes Flugzeug im Korridor befindet.»

Der Reaktoroperateur müsse zudem jedes System und seine Funktionsweise in der Anlage kennen. «Er muss eine hohe Kommunikationsfähigkeit besitzen, Führung übernehmen und Aufträge koordinieren.» Das Regelbuch stehe dabei an vorderster Stelle: «Es gibt beim Reaktoroperateur kein kreatives Entscheiden, denn die Sicherheit steht immer an erster Stelle.»

Grosse Verantwortung und hohe Flexibilität

Der Techniker HF «Grossanlagenbetrieb» trägt eine hohe Verantwortung. «Man muss die Situationen beherrschen, wenn es einen Störfall oder eine anormale Situation gibt, und die Anlage wieder in den Normalzustand zurückführen.» Deshalb werden Reaktoroperateure periodisch für solch spezielle Szenarien trainiert. «Aber auch das aktuelle Wissen à jour zu halten, gehört dazu», erklärt Künzli. Nebst der grossen Verantwortung sei auch eine hohe Bereitschaft zur Schichtarbeit gefragt. «Ein Kernkraftwerk läuft 24 Stunden am Tag, und dies 365 Tage im Jahr.»

Aussterbender Bildungsgang?

Die Schweiz plant den kompletten Atomausstieg. Was heisst das für den Techniker HF «Grossanlagenbetrieb»? Momentan sei der HF-Bildungsgang darauf ausgerichtet, den normalen sicheren Betrieb   einer Anlage zu gewährleisten. «Langsam nehmen wir aber auch neue Module in den Bildungsgang auf, die darauf ausgerichtet sind, ein Kernkraftwerk ausser Betrieb zu nehmen.» Denn: «Solange noch Brennstoff auf dem Areal ist, braucht es immer noch dieselben Überwachungs- und Kontrollfunktionen.» Bestes Beispiel sei das Kernkraftwerk Mühleberg, das bereits seit Ende Dezember 2019 vom Netz genommen wurde. «Noch bis ungefähr 2025 werden dort Reaktoroperateure eingesetzt», sagt Künzli.

«Wir werden die Ausbildung mit Sicherheit noch 10 bis 15 Jahre anbieten müssen.» Dabei spiele es keine Rolle, ob sich 20 oder zwei Studierende für den Bildungsgang anmelden würden. Es sei eine «sicherheitsrelevante Aufgabe» und die Kernkraftwerke seien auf das ausgebildete Personal angewiesen. Deshalb gäbe es auch das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI, welches diesbezüglich auch den HF-Bildungsgang und dessen Lerninhalt stetig überwache. «Gäbe es zu wenig ausgebildetes Personal, müsste das Kernkraftwerk abgeschaltet werden, da im abgeschalteten Zustand weniger Personal für die Bedienung und Überwachung erforderlich ist.» Am Bildungsgang wird es dementsprechend mit den kommenden Jahren sukzessive Änderungen geben.» Auch sei mit weniger Studierenden zu rechnen, da in der Schweiz keine neuen Kernkraftwerke gebaut werden dürfen. Die bestehenden Anlagen dürften jedoch in Betrieb bleiben, solange sie sicher seien.

Einfach ins Ausland ausweichen und bei einem anderen Kernkraftwerk in derselben Funktion zu arbeiten, sei aber schlecht möglich. «Jedes Kernkraftwerk ist anders», erklärt Künzli. Zurzeit hätten sie viele Personen aus Deutschland, die zusätzlich den HF-Bildungsgang absolvieren, obwohl sie in Deutschland bereits die Position eines Schichtchefs innehatten. «Der Einstieg ist zwar gegeben, doch die Anlagenkenntnisse fehlen.» Auch deshalb sei die Fluktuation in den Kernkraftwerken sehr gering. Die Sprache könne ebenfalls eine Barriere sein. «In den Kernkraftanlagen hier in der Schweiz wird Deutsch gesprochen, doch es wird vorausgesetzt, dass das Schweizerdeutsch verstanden wird.» Denn: «Wird es einmal hektisch, fällt man meistens in die Muttersprache zurück.» Gleiches Spiel im Ausland; man müsse erst die Sprache auf einem sehr hohen Niveau beherrschen können. Ein Einsatz im Ausland sei unwahrscheinlich und sehr selten.

Aus der Sicht eines Absolventen

Eine Arbeitsstelle in einem Kernkraftwerk ist eher aussergewöhnlich und für viele nicht selbstverständlich. Gründe, genau dort zu arbeiten, gab es für Andreas Mathis, Schichtchef 1 in der Kernkraftanlage Beznau, verschiedene. «Vor allem die technischen Hintergründe wie Kernphysik, Thermodynamik und Elektrotechnik haben mich dazu bewegt.» Man habe eine breite Palette von unterschiedlichen Berufsgattungen, die hier vereint werden.

Bis zum Schichtchef 1 musste auch Mathis einen langen Prozess durchlaufen. Wie jeder andere, hat auch er als Anlagenoperateur im Kernkraftwerk zu arbeiten begonnen. In dieser Zeit habe er die Anlage kennengelernt. «Wenn man möchte und sich eignet, kann man den Bildungsgang Techniker HF ‹Grossanlagenbetrieb› in der Höheren Fachschule absolvieren, indem unter anderem das Grundwissen über die physikalischen Abläufe vermittelt wird.» Danach folgen interne Weiterbildungen und Empfehlungen bis zum Schichtchef 1. Dieser Prozess könne bis zu zehn Jahre dauern.

Mathis war sich schon immer bewusst, dass er nie mehr woanders arbeiten wird. «Es gibt aber durchaus auch Personalwechsel zwischen den Kernkraftwerken.» Man fange zwar wieder als Anlagenoperateur an, um die neue Anlage kennenzulernen, den HF-Abschluss müsse man dagegen nicht erneut machen. Es gäbe aber durchaus Möglichkeiten bei einer beruflichen Umorientierung. «Auch wenn unser HF-Abschluss sehr spezifisch ist, ist er bei einem Wechsel in eine andere Branche als Grundlage gut vorweisbar.»